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Kleine Gedankenperlen

Überliefert von einer Zellengenossin:

Sophie Scholl, vom NS-Regime wegen Hochverrats angeklagt, wird im Gefängnis im Morgengrauen wach. Heute ist der Tag der Urteilsverkündung. Sie dämmert noch einmal kurz ein und träumt,

 

"... dass sie ein Kind in einem weißen Taufkleid einen steilen Berg hinauf trägt. Zu ihren Füßen klafft auf einmal eine tiefe Gletscherspalte auf. Sie schafft es gerade noch, das Kind auf die andere Seite zu legen und fällt dann ins Bodenlose."

 

Wenige Stunden später verkündet der NS-Richter das Todesurteil durch die Guillotine und das Fallbeil tötet Sophie Scholl.

Doch ihre Vision, ihr „Kind“, überlebt. Das Kind trägt den Namen „Freiheit“.

Jahrzehnte später erst werden diese 8 Buchstaben in ihrer Handschrift auf der Rückseite der Anklageschrift entdeckt.

 

* * *

 

Eine erwachsene Träumerin, die von ihrem Vater als Kind jahrelang missbraucht und erniedrigt wurde, lebte nun schon Jahrzehnte weit von ihm entfernt, hatte keinen Kontakt mehr zu ihm und doch spürte sie latent immer die Bedrohung, die von ihm ausging. Ihr Leben lang kämpfte sie gegen die Spätfolgen, die der Missbrauch hinterlassen hatte. Gegen Trauer, Drogensucht, Depression, Schuldgefühle, Isolation und Hauterkrankungen. Eines Tages erfuhr sie, dass ihr Vater überraschend vor drei Tagen gestorben war. Sie blätterte in ihrem Traumtagebuch und in der Nacht, in der ihr Vater verstorben war, hatte sie geräumt,

 

"... dass eine riesige Urzeitschlange in einem Zoo für Artenerhaltung eine schlimme Zeit überlebt hatte und nun wieder anfing, sich zu regen."

 

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Kekulé verstand die molekulare Struktur des Benzolrings, bei dem sich die Kohlenstoffatome ringförmig anordnen, weil er von einer Schlange träumte, die sich in den Schwanz biss.

 

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Ist die gesamte Götterwelt eine Projektion unseres kollektiven Unbewussten oder ist das kollektive Unbewusste eine Introjektion der Götterwelt? Oder sind es beides wahrhaftige Seiten ein und derselben Sache?

 

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Tagträumen

 

Der Mensch hat eine tiefe Sehnsucht nach Bildern. Er träumt, weil er ein spirituelles Wesen ist, das auf Vervollkommnung ausgerichtet ist und nachhaltig nur mit Bildern begreift. Deshalb fing er an, in Höhlen Bilder zu malen, deshalb hat er das Kino erfunden, deshalb „tagträumt“ er.

 

Bei Menschen, die die äußere Aktivität herunterfahren und scheinbar abwesend und gedankenverloren sind, fährt zur gleichen Zeit ein anderer Teil ihres Gehirns hoch. Neurowissenschaftler sprechen von einem "default mode network" (Ruhestand-Netzwerk) oder "prospective brain" (vorausschauendes Gehirn).

 

Der Geist verarbeitet und verbindet mit Hochdruck Eindrücke und Bilder, entwirft zukünftige Situationen, vergleicht sie mit Erinnerungen, erstellt neue Bausteine und baut sie in Hypothesen ein. Wir wissen heute, dass das Tagträumen etwa 20-mal so viel Energie verbraucht, wie bewusste Aktionen.

 

Diese Innenschau ist wichtig für Geist und Psyche, um zu erfahren, was wirklich ist und was wirklich werden soll. Und sie zeigt, dass sich ein Teil von uns immer in der Traumzeit befindet.    

Buchempfehlung:

Edward C. Whitmont und Sylvia Brinton Perera "Träume, eine Pforte zum Urgrund"

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